Bitcoin: Der SUV unter den Zahlungsmitteln?
Üblicherweise beschäftigen wir uns mit den Themenblöcken Politischer Aktivismus, Geopolitisches, Staatlich sanktionierte Spionage und Virtuelle Lösegelderpressungen. Während unserer Recherchen zu Lieferkettenbedrohungen und Ransomware, sind wir in den letzten Wochen oft auf das Thema der Nachhaltigkeit („Sustainability“) gestoßen, vor allem wenn es um Blockchain und Rechenzentren geht. Dabei zeigen sich schnell globale Risiken durch enormen Strom- und Wasserverbrauch, der durch die Infrastruktur für beispielsweise Bitcoin, „Tokenisierung“ oder Streaming entstehen kann.
Im Juni 20211) hat die Volksrepublik China dem Bitcoin-Mining einen legislativen Riegel vorgeschoben und das Betreiben solcher verboten. Offiziell geht es um den Umweltschutz: Das Erstellen neuer Bitcoin-Einheiten ist ein mathematisches Puzzle, dass mit der Menge der verfügbaren Bitcoin-Einheiten immer komplexer – also rechenaufwendiger – wird. Seit Jahren benötigt es spezielle Hardware, sog. Crypto-Miner, die ähnlich wie GPU-Graphikarten auf die Berechnung kryptographischer Puzzles spezialisiert sind. Wie bei einer Lotterie gewinnt der schnellste „Schürfer“ die neueste Einheit im Blockchain-Pool. Das ökologische Problem? Gemäß einer Recherche der New York Timea2) entstehen auf Grund dieser hoch-spezialisierten Hardware- und Chip-Architektur der Crypto-Miner seit Jahren Unmengen an Elektroschrott.
Wie schaut es mit dem Stromverbrauch aus? Der Stromverbrauch einer Blockchain wie bei Bitcoin – einer Peer-to-Peer-Anwendung zwischen den Betreibern von Crypto-Minen und den Anwendern – kann in Stromverbrauch auf Transaktionen und Gewinnung (Mining) unterteilt werden. In 10 Jahren ist der weltweite Stromverbrauch für Bitcoin-Mining auf aktuell 91 Terawatt-Stunden im Jahr angestiegen – also das Siebenfache vom Energiebedarf aller Google-Rechenzentren zusammen3) Die Strombelastung („electrical load“) der größten chinesischen Bitcoin-Minen lag vor dem offiziellen Aus bei acht Gigawatt – das entspricht einer kombinierten Spitzenleistung von vier der weltweit-größten Solarenergie-Kraftwerken4). Dürfen wir China als Vorreiter einer nachhaltigen Zukunft ohne Blockchain betrachten? Tatsächlich nein, mehrere Tausend Bankomaten wurden über Nacht von Bitcoin auf den Digitalen Yuan, die staatliche Stable-Coin, umgestellt.
Die Nachfrage nach Bitcoin-Mining bleibt trotz – oder wegen – China ungebremst: Der amerikanische Bundesstaat Texas wirbt nun um diese Bitcoin-Mining-Betreiber und möchte sie in seinem „Land der Freien“ ansiedeln. Populismus und wirtschaftliche Gründe spielen dabei eine große Rolle, denn Texas verfügt prinzipiell über sehr günstige Energie. Leider wurde die Verweigerung texanische Energieanbieter staatlich zu regeln oder zu kontrollieren als Freiheit (fehl-)interpretiert, warum im Winter 2020 bei plötzlichem Kälteeinbruch die Energiepreise ungebremst in die Höhe schnellen konnten. Normale Haushalte hatten plötzlich eine Stromrechnung von mehreren tausenden Dollar und das ohne Vorwarnung der Netzbetreiber. Rechenfehler hatten die Kälte-bedingten Ausfälle bei den Anbietern als ökonomisches Problem von Angebot und Nachfrage interpretiert und somit keine Preisobergrenze gesetzt. Tatsächlich also kein ideales Umfeld für Crypto-Mining, wie auch schon andere Länder feststellen mussten. In der Islamischen Republik Iran verursachten illegale Bitcoin-Minen in der Vergangenheit bereits mehrfach großflächige Stromausfälle. Zu China und Iran kommen immer mehr Länder, in denen Bitcoin zum Mining und/oder Handel illegal wird.
Nicht nur das Mining von Bitcoin (BTC), Ethereum (ETH), Monero (XMR), Dogecoin (DOGE), uva. kostet viel Strom. Was Expertinnen und Experten beunruhigt, ist der Bedarf für eine einzelne Transaktion. Der ökologische Fußabdruck einer einzelnen Bitcoin-Transaktion liegt aktuell bei 300kg CO2-Austoß, was dem Äquivalent von geschätzten 750.000 Kreditkarten-Transaktionen entspricht, wie die Niederländische Zentralbank errechnet hatte.6)
Wer sich mit Zentralbankenwährungen oder einer alternativen Anlage in Gold sicherer währet, sei auch hier gewarnt: Manche Ökonomen wollen auch bei dem international als Petro-Dollar bezeichneten US-Dollar, die Förderung von Erdöl, als Belastung für unser Klima miteinberechnen. Inwiefern die Zukunft alternative Blockchains, die Limits bei der Erschaffung durch nachhaltigere Algorithmen kompensieren, oder „grüne“ Blockchain-Konsortien, die auf Wind- und Solarkraft statt fossiler Stromgewinnung setzen, sind, wird sich erst zeigen. Zumindest der Hype rund um Non-Fungible Token, einer Digitalisierung/“Tokenisierung“ von Kunstwerken in der Blockchain, wird bereits durch erste Boykottmaßnahmen in Frage gestellt.7)
Cloud-basierte Dienste benötigen neben Strom noch eine weitere Ressource: Wasser. Und zwar, sehr viel Wasser. Ein typisches Google-Rechenzentrum benötigt um die 4 Mio. Gallonen (entspricht in etwa 18 Mio. Liter) Wasser pro Tag zur Kühlung. Seit Jahren gibt es Streit um das Rechenzentrum „Goose Creek“, weil Google zusätzliche 1,5 Mio. Gallonen (~6,8 Mio. Liter) benötigt.8) Gerade während sommerlicher Hitzeperioden trifft das nicht nur die Bewohner in heißen Bundesstaaten wie Arizona oder Kalifornien, sondern auch in „kühleren“ Landesteilen, wie etwa dem Bundesstaat New York. Der hohe Wasserbedarf von Rechenzentren frustet die Anrainer, die über ihre Gemeinden aufgefordert werden, in Hitzeperioden kollektiv Wasser zu sparen. Bei der Bitcoin-Mining-Firma „Greenidge Generation Holdings“ vermuten Bewohner des Seneca-See in Greenidge/Dreseden, dass dieser über einen Zubringerfluss erwärmt wird, welchen der Betreiber zur Abkühlung seiner Bitcoin-Mining-Hardware verwendet.9) Unternehmen wie Aligned Energy, Equinix und Microsoft arbeiten an alternativen Kühlsystemen, wie etwa Container in der Tiefsee (Microsoft), wasserlosen Methoden (Aligned) oder recyceltes Industrie-Abwasser statt Flusswasser (diverse).
Zusammenfassend: Die Blockchain stellt mittlerweile eine technologische Entwicklung dar, die so von ihren Erfindern in der jetzigen Form nicht bedacht werden konnte. Ähnlich wie bei SUVs, wo die Sicherheitserfahrungen von Automobilien der letzten Jahrzehnte auf Grund von Markttrends verworfen wurden: Statt kleiner, leichter Autos mit abgerundeten Motorhauben für den Stadtverkehr, die bei einem Zusammenstoß die Fußgänger eher im Beinbereich erfassen sollen, werden schwere LKW-ähnliche Geländeautos – manche sogar mit „Rammschutz“ – für die innerstädtische Mobilität präferiert. Die Freiheit und Unabhängigkeit des Individuums wurden bei SUVs, wie auch bei der Blockchain, und einer ungebremsten Nachfrage zu einem kollektiven Problem für alle. Visionär und Autor Cory Doctorow bezeichnete Bitcoin daher als Paradebeispiel für „F.U. Money10), mit dem kollektiv 5-7 Milliarden Menschen sicher nicht reich oder ökonomisch unabhängig werden können.
Nachhaltige Rechenzentren und grüne Blockchain-Konsortien sind definitiv die Zukunft, genauso wie leichte Elektroautos für den Individualverkehr. Fragt sich dabei nur, ob wir als Konsumenten mitspielen werden und nicht wieder in Massen die individuelle Freiheit woanders suchen.
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