Bilanzierung

Um die Auswirkungen auf die Bilanzierung analysieren zu können, ist zuerst der Ablauf der Geschehnisse relevant:

Am 21.2.2022 hat die Russische Föderation die in der Ukraine liegenden Regionen Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten anerkannt. Am 24.2.2022 hat die Russische Föderation verkündet, dass die beiden Volksrepubliken sie um Hilfe gebeten haben und einen breit angelegten Angriff auf die Ukraine begonnen. Seither befinden sich die Russische Föderation und die Ukraine im Kriegszustand mit vielfältigen, auch wirtschaftlichen Auswirkungen auf lokale und westliche Unternehmen (die „Ukraine-Krise“). Vor diesem Hintergrund ergeben sich zahlreiche Fragestellungen i.Z.m. der Unternehmensberichterstattung betreffend den Zeitpunkt und das Ausmaß der bilanziellen Erfassung der Auswirkungen der Ukraine-Krise sowie sich daraus ergebende Angabe- und Ausweiserfordernisse. Jüngst wurde zu diesem Thema auch eine eigene AFRAC-Fachinformation veröffentlicht (Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Unternehmensberichterstattung, Stand: April 2022[1]).

 

Bilanzielle Auswirkungen für Abschlussstichtage bis einschließlich 23.2.2022

Nach Ansicht des AFRAC ist mit dem Beginn des Angriffs auf die Ukraine ein wertbegründendes Ereignis eingetreten, das grundsätzlich nicht im Zahlenwerk von Abschlüssen zu Stichtagen bis zum 23.2.2022 zu berücksichtigen ist, es sei denn, die Möglichkeit zur Unternehmensfortführung ist dadurch gefährdet. Deuten die wirtschaftlichen Auswirkungen der Ukraine-Krise darauf hin, dass die Going-Concern-Annahme nicht mehr angemessen ist, darf der Abschluss nicht unter Annahme der Unternehmensfortführung aufgestellt werden.

Bei der Beurteilung der Angemessenheit sind sämtliche bis zum Tag der Aufstellung verfügbaren Informationen über die Zukunft heranzuziehen und somit auch alle durch die Ukraine-Krise verursachten möglichen Auswirkungen in die Überlegungen miteinzubeziehen. In diesem Zusammenhang ist zu beurteilen, ob sich die Unternehmenssituation durch die Ukraine-Krise zu einer akuten Krise des Unternehmens[2] entwickelt hat bzw. entwickeln wird oder ob die Ukraine-Krise eine schon bestehende, bereits akute Krise verstärkt hat. Bei der Krisenanalyse sind zum einen die unmittelbaren Auswirkungen der Kriegseinwirkungen, z.B. betreffend Niederlassungen und direkte Beteiligungen in der Ukraine oder dortige Beteiligte an der Wertschöpfungskette, sowie zum anderen die langfristigen globalen Auswirkungen zu beachten, vor allem bedingt durch die Wirtschaftssanktionen der westlichen Staaten gegen Russland und Belarus sowie deren Gegenmaßnahmen.[3] Als Ergebnis dieser Analyse kann zur Untermauerung der Going-Concern-Annahme die Erstellung bzw. die Aktualisierung von Unternehmensplänen (zumindest Finanzplänen) und Szenarien oder ggf. die Erstellung einer Fortbestehensprognose notwendig sein.

Für die im Kontext der Ukraine-Krise erforderlichen Angaben in Anhang und Lagebericht wird auf die Kapitel 2.2. und 2.3. der AFRAC-Fachinformation verwiesen.

 

Bilanzielle Auswirkungen für Abschlussstichtage nach dem 23. Februar 2022

Die Berücksichtigung der Auswirkungen der Ukraine-Krise im Zahlenwerk eines Abschlusses ist i.S.d. Stichtagsprinzips in Abschlüssen zu Stichtagen nach dem 23.2.2022 geboten. Dadurch können sich verschiedene Themenstellungen ergeben. Insbesondere kann eine neuerliche Überprüfung der Fortführungsfähigkeit erforderlich sein sowie die Möglichkeit oder Notwendigkeit zur Durchbrechung des Stetigkeitsgrundsatzes für Ansatz und Bewertung bestehen. Die aktuelle Krise und ihre wirtschaftlichen Folgen können sich zudem vielfach auf die Bilanz von betroffenen Unternehmen auswirken. Für Aktiva und Passiva gilt etwa Folgendes:

  • Die aktuelle Ukraine-Krise wird i.d.R. dazu führen, dass die Prüfung von außerplanmäßigen Abschreibungen bzw. die Durchführung von Wertminderungstests nach IFRS erforderlich ist. Dies betrifft insbesondere Firmenwerte und anderes immaterielles Vermögen, Sach- sowie ggf. Finanzanlagevermögen.
  • Bei Finanzanlage- und -umlaufvermögen, das zu beizulegenden Zeitwerten bewertet wird, sind die Auswirkungen der Ukraine-Krise bei der Wertermittlung zu berücksichtigen.
  • Die Krise kann sich ferner auf die Bewertung der Vorräte auswirken. Abschreibungen können erforderlich sein, z.B. aufgrund erhöhter Kosten zur Fertigstellung der Erzeugnisse. Zudem können durch Verzögerungen bzw. Unterbrechungen in den Lieferketten nicht aktivierungsfähige Leerkosten entstehen.
  • Bei der Bewertung von Forderungen ist durch die verhängten Sanktionen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den Krisenregionen mit erhöhten Ausfallsrisiken zu rechnen. Bei der Ermittlung von Wertberichtigungen zu Forderungen sind sowohl direkte als auch indirekte Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Schuldner zu berücksichtigen; dies betrifft sowohl Einzelwertberichtigungen als auch Pauschalwertberichtigungen.
  • Änderungen der Zugriffsmöglichkeiten auf Konten in den betroffenen Regionen können Auswirkungen auf den Ausweis der liquiden Mittel haben.
  • Auswirkungen können sich auf die Umsatzerlöse dem Grunde und der Höhe nach ergeben, wenn sich die erwartete Gegenleistung seitens Kund:innen oder die erwarteten Kosten der Vertragserfüllung ändern.
  • In Bezug auf aktive latente Steuern muss beurteilt werden, ob zukünftig ein ausreichendes zu versteuerndes Ergebnis vorliegen wird. Dies gilt insbesondere, wenn diese aufgrund von Verlustvorträgen gebildet wurden
  • Schwebende Absatz- und Beschaffungsgeschäfte mit Bezug zu den betroffenen Regionen können die Bildung von Rückstellungen erfordern. Denkbar wären dabei Rückstellungen für drohende Verluste oder für belastende Verträge, z.B. infolge steigender Rohstoffpreise oder gar Exportstopps für gewisse Produkte sowie für Vertragsstrafen. Rückstellungen können ebenso für geplante Umstrukturierungen erforderlich sein, etwa wenn Unternehmen aus Anlass der aktuellen Situation entscheiden, mittel- bis langfristig ihre Niederlassungen in diesen Ländern aufzugeben.
  • Verluste oder Vermögensschmälerungen, die ein Unternehmen durch die Ukraine-Krise erleidet, können zum Bruch von Kreditbedingungen (Covenants) führen. Dies führt im Regelfall zu einer vorzeitigen Rückzahlungsverpflichtung, wodurch sich deren Fristigkeit ändert.
  • Eventualverbindlichkeiten sowie Haftungsverhältnisse können schlagend werden. Diese sind sodann in der Bilanz anzusetzen.
  • Aufgrund des starken Absturzes des russischen (RUB) und belarussischen (BYN) Rubels sowie der ukrainischen Währung (UAH) ist mit der vermehrten Realisation von Fremdwährungsverlusten zu rechnen.

Die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf Konzernabschlüsse wird in der AFRAC-Stellungnahme (Stand: April 2022) unter Kapitel 2.8 dargestellt.


[1] Im März 2022 wurde bereits eine erste AFRAC-Kurzinformation (Ukraine-Krise) veröffentlicht, die die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Bilanzierung sowie erforderliche Angaben im Abschluss und im Lagebericht zu Abschlussstichtagen bis zum 31.1.2022 zum Inhalt hat. Die AFRAC-Fachinformation vom April 2022 ersetzt die Kurzinformation vom März 2022.   

[2] Zum Begriff „Krise“ vgl. KFS/BW 5 Rz (1) ff.

[3] Vgl. auch die Beispiele in der AFRAC-Fachinformation (Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Unternehmensberichterstattung, Stand: April 2022), Rz (13).

 

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