Keine Steuerschuld kraft Rechnungslegung gegenüber Endverbraucher:innen

Der EuGH beschäftigte sich in einem praxisrelevanten Urteil vom 8.12.2022, Rs C-378/21, P-GmbH, mit der Frage der umsatzsteuerlichen Steuerschuld kraft Rechnungslegung und verneinte diese, wenn die Leistungsempfänger Endverbraucher:innen sind. Mangels Steuerschuld kraft Rechnungslegung kann auch eine Rechnungsberichtigung unterbleiben, die in der Praxis oft daran scheitert, dass die Identität der Kund:innen nicht bekannt ist und/oder die Berichtigung der einzelnen Rechnungen zu aufwendig ist.

Der Entscheidung lag ein österreichischer Ausgangsfall zugrunde. Das BFG folgt in der Entscheidung vom 27.1.2023, RV/7100930/2021, dem Urteil des EuGH.

 

Sachverhalt umsatzsteuerlichen Steuerschuld kraft Rechnungslegung

Die in Österreich ansässige P-GmbH betreibt einen Indoor-Spielplatz. Im Streitjahr 2019 unterwarf die P-GmbH die Eintrittsgelder zum Indoor-Spielplatz irrtümlich dem Normalsteuersatz von 20%. Tatsächlich unterlagen die Leistungen dem ermäßigten Steuersatz von 13%. Die P-GmbH rechnete mittels Registrierkassenbelegen, die Kleinbetragsrechnungen gemäß § 11 Abs. 6 UStG entsprechen, ab und stellte dabei 20% Umsatzsteuer in Rechnung. Die daraus resultierende Umsatzsteuer führte die P-GmbH in voller Höhe an das Finanzamt ab. Nach Erkennen ihres Irrtums forderte die P-GmbH die zu viel bezahlte Umsatzsteuer (7 Prozentpunkte) vom Finanzamt zurück.

Strittig war, ob es auch zu einer Steuerschuld kraft Rechnungslegung kommt, wenn keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegen kann, da es sich bei den Leistungsempfängern ausschließlich um nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Endverbraucher:innen handelt.

 

EuGH-Entscheidung 

Der EuGH legte der Beantwortung der strittigen Frage die Prämisse zugrunde, dass es sich bei den Kund:innen ausschließlich um nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Endverbraucher:innen handelt. Ausgehend davon verneinte der EuGH das Entstehen einer Steuerschuld kraft Rechnungslegung.

Ziel von Art. 203 MwStSystRL (im österreichischen Umsatzsteuergesetz umgesetzt in § 11 Abs. 12 UStG 1994), der die Steuerschuld kraft Rechnungslegung regelt, ist es, der Gefährdung des Steuerkommens entgegenzuwirken. Eine solche besteht jedoch nach Ansicht des EuGH nicht, wenn feststeht, dass es sich bei den Leistungsempfängern ausschließlich um nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Endverbraucher:innen handelt. Insofern, so der EuGH, komme Art. 203 MwStSystRL nur dann zur Anwendung, wenn die Mehrwertsteuer zu Unrecht in Rechnung gestellt wurde und eine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, da der Rechnungsempfänger einen Vorsteuerabzug geltend machen kann.

 

Entscheidung des BFG 

In seiner Entscheidung vom 27.01.2023, RV/7100930/2021, bestätigt das BFG das Urteil des EuGH, dass mangels Risikos des Steuerausfalls keine Steuerschuld kraft Rechnungslegung bei nicht zum Vorsteuerabzug berichtigten Endverbraucher:innen entsteht.

So führt das BFG in seinem Erkenntnis aus, dass es der zum UStG 1994 ergangenen Rechtsprechung des VwGH zur einschränkenden Interpretation des nationalen Rechts folge. Die Bestimmung des § 11 Abs. 12 UStG ist demnach im Lichte der Rechtsprechung des EuGH dahingehend eingeschränkt richtlinienkonform interpretierbar, dass diese nur im Falle der Gefährdung des Steueraufkommens anwendbar sein soll. Da nicht gänzlich ausgeschlossen werden konnte, dass in Einzelfällen Leistungsempfänger:innen doch einen Vorsteuerabzug geltend gemacht haben, ging das BFG im Schätzungswege letztlich davon aus, dass in 99,5% der Fälle keine Steuerschuld kraft Rechnungslegung vorlag.

 

Fazit 

Entsprechend der ergangenen Judikatur ist demnach eine zu hoch ausgewiesene Umsatzsteuer in Rechnungen an Endverbraucher:innen dem Unternehmer zu erstatten. Trotz Inrechnungstellung eines unrichtig zu hohen Steuersatzes schuldet der Unternehmer nur die gesetzlich anfallende Umsatzsteuer. Folglich kann auch eine Rechnungsberichtigung unterbleiben, die sich in der Praxis insbesondere bei B2C-Kleinbetragsrechnung besonders schwierig gestaltet, da oft die Identität der Kund:innen unbekannt ist und/ oder die Berichtigung mit viel Aufwand verbunden ist.

Die Besonderheit des gegenständlichen Falls ist auch, dass es sich bei den Kund:innen der P-GmbH ausschließlich um nicht-vorsteuerabzugsberichtigte Endverbraucher:innen handelt. Dieser Fall stellt jedoch abhängig von der Branche vielmehr eine Ausnahme als die Regel dar. Es bleibt daher offen, wie vorzugehen ist, wenn es sich bei den Kund:innen sowohl um Unternehmer als auch Nicht-Unternehmer handelt und die Gefahr eines zu hohen Steuerabzugs nicht ausgeschlossen werden kann. Die Generalanwältin führte in ihren Schlussanträgen hierzu aus, dass die Aufteilung im Rahmen einer Schätzung ermittelt werden kann. Der EuGH ist in seinem Urteil nicht darauf eingegangen, das BFG hat diese Schätzungsbefugnis in seinem Folgejudikat jedoch bereits aufgegriffen.

Offen bleibt weiters auch, ob eine Erstattung der überhöhten Umsatzsteuer zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Unternehmers i.S.d. § 239a BAO führen und von der Finanzverwaltung mit diesem Argument verweigert werden könnte. Weder der EuGH noch der BFG haben sich bisher zu dieser Frage geäußert.

 



Autorin:

Nicole Egger
nicole.egger@bdo.at
+43 5 70 375 - 1484

Abonnieren Sie die neuesten Nachrichten von BDO!

Please fill out the following form to access the download.