Ukraine Krieg: Bilanzielle Auswirkungen

Für Unternehmen mit Bilanzstichtag bis zum 31.12.2021 stellt der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ein wertbegründendes Ereignis dar. Die Auswirkungen spiegeln sich demnach nicht im Zahlenwerk des Abschlusses 31.12.2021 wider, außer die Fortführungsannahme ist dadurch nicht mehr zulässig. Der Ukraine-Krieg ist i.d.R. jedoch ein wesentliches Ereignis nach dem Bilanzstichtag, dessen Auswirkungen im Anhang zu erläutern sind. Besteht ein wesentliches Risiko einer negativen Abweichung von Prognosen und Zielen, ist darüber im Lagebericht zu berichten. Bestandsgefährdende Risiken sind als solche in Anhang und Lagebericht darzustellen.

 

Jüngste Entwicklungen im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine

Im Frühjahr 2021 flammte der 2013/14 begonnene Konflikt um die Ukraine wieder auf. Eine vorübergehende Beruhigung der Lage zwischen Mai und Oktober endete im November 2021, als Putin infolge der Spannungen zwischen Moskau und der NATO erneut russische Streitkräfte an der ukrainischen Grenze konzentrierte. Die politischen Ereignisse im Dezember 2021 lassen sich wie folgt überblickshaft zusammenfassen:

  • 6.12.2021: Putin-Biden Videogipfel zu Ukraine-Konflikt
  • 11./12.12.2021: G7-Gipfel
  • 14.12.2021: Treffen der EU-Außenminister
  • 15.12.2021: Belebung des Normandie-Formats
  • 15.12.2021: Russland sucht Schulterschluss mit China
  • 16.12.2021: EU-Gipfel in Brüssel
  • 17.12.2021: Russland stellt Forderungen an NATO

Die in den folgenden Wochen stattfindenden diplomatischen Krisengespräche zwischen Russland, den USA und der NATO blieben ebenso erfolglos. Zwei Höhepunkte im aktuellen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine bilden die beiden Ansprachen Putins am 21.2.2022 und am 24.2.2022:

  • Am 21.2.2022 verkündete Russlands Präsident die Anerkennung der in der Ukraine liegenden, selbsternannten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten sowie den Abschluss von Freundschafts- und Beistandsverträgen.
  • Am 24.2.2022 verkündete Putin schließlich, die beiden Volksrepubliken des Donbass hätten Russland um Hilfe gebeten, weshalb er eine besondere „Militäroperation“ durchführen werde.

Der Westen verurteilt das Vorgehen Putins auf Schärfste; die EU entschied, die bereits bestehenden Wirtschaftssanktionen gegen Russland um restriktive Maßnahmen auszuweiten. [1]

 

Auswirkungen auf die Bilanzierung zu Abschlussstichtagen bis zum 31.12.2021

Im UGB gilt das Stichtagsprinzip. Dieses Prinzip ist regelmäßig gegen das Imparitätsprinzip abzuwägen, wonach erkennbare Risiken und drohende Verluste, die vor dem Bilanzstichtag entstanden sind (wertaufhellende Erkenntnisse), zu berücksichtigen sind, selbst wenn die Umstände erst zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Aufstellung des Jahresabschlusses bekannt werden.

Der Wertaufhellungszeitraum beginnt mit dem Abschlussstichtag und endet mit dem Tag der Aufstellung des Abschlusses. Wertaufhellende Erkenntnisse, die nach der Aufstellung, aber vor der Feststellung des Abschlusses bekannt werden, sind grundsätzlich nicht zwingend im Abschluss des abgelaufenen Geschäftsjahres zu berücksichtigen. Kapitalgesellschaften und vergleichbare Unternehmen haben zu beurteilen, ob sich das Ereignis wesentlich auf die VFE-Lage auswirkt. Erfolgt keine Änderung des aufgestellten Abschlusses, ist das für die Feststellung des Abschlusses zuständige Organ zu informieren.

Nach dem Bilanzstichtag eintretende wertbegründende Ereignisse sind nicht im Abschluss des abgelaufenen Geschäftsjahres zu berücksichtigen.

In den IFRS gilt ebenso das Stichtagsprinzip. Vorschriften für den Umgang mit Ereignissen nach dem Abschlussstichtag enthält IAS 10. Während die im Abschluss erfassten Beträge anzupassen sind, um berücksichtigungspflichtige Ereignisse nach dem Abschlussstichtag abzubilden, dürfen solche Anpassungen zur Abbildung nicht berücksichtigungswürdiger Ereignisse nach dem Abschlussstichtag nicht stattfinden.

Die zentrale Frage, ob der Ukraine-Krieg und seine Auswirkungen bereits in den Abschlüssen bis zum 31.12.2021 zu berücksichtigen sind, hängt davon ab, ob die jüngsten Entwicklungen zwischen Russland und der Ukraine als Kontinuum des in 2013/14 begonnen und in 2021 neu aufflammenden Konflikts beider Länder zu sehen sind oder ob es zu alledem ein zentrales Ereignis gab. Aus den jüngsten Entwicklungen ergibt sich u.E., dass die Anerkennung der selbsternannten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk und der Abschluss von Freundschafts- und Beistandsverträgen die russisch-ukrainischen Beziehungen auf eine neue Eskalationsstufe gehoben haben. Russlands Präsident Putin hat damit die Weichen für den militärischen Einmarsch in die Ukraine gestellt. Die Ereignisse waren auch Anlass für den Westen, bereits bestehende Wirtschaftssanktionen gegen Russland, um weitere restriktive Maßnahmen auszuweiten. Wegen der zusätzlich verhängten Sanktionen gegen Russland ergeben sich für Unternehmen weltweit Auswirkungen auf die Berichterstattung. Die zentralen Ereignisse beziehen sich auf die Zeit nach dem Abschlussstichtag. Aus diesem Grund stellt der Ukraine-Krieg u.E. ein wertbegründendes Ereignis dar, das im Zahlenwerk von Abschlüssen mit Bilanzstichtag bis zum 31.12.2021 nicht zu berücksichtigen ist, es sei denn, die Möglichkeit zur Unternehmensfortführung ist dadurch gefährdet. Gleiches gilt u.E. für Abschlüsse mit Bilanzstichtag bis zum 31.1.2022. Eine Berücksichtigung in Abschlüssen mit Stichtag zum 28.2.2022 oder später ist u.E. jedenfalls geboten.
 

Auswirkungen auf die Beurteilung der Fortführungsfähigkeit

Im UGB und in den IFRS gilt für die Bewertung der Grundsatz der Unternehmensfortführung. Der Ukraine-Krieg und seine wirtschaftlichen Folgen können dazu führen, dass die Annahme der Unternehmensfortführung nicht mehr angemessen ist. Die Beurteilung der Angemessenheit der Going-Concern-Annahme hat am Tag der Aufstellung des Abschlusses zu erfolgen. Folglich sind auch alle wertbegründenden und werterhellenden Sachverhalte in die Beurteilung, ob weiterhin von Going-Concern auszugehen ist, miteinzubeziehen.

Betroffene Unternehmen müssen beurteilen, ob der Unternehmensfortführung möglicherweise Gründe entgegenstehen. Bei dieser Analyse sind alle spezifischen Ereignisse, die sich auf die Liquidität oder Finanzierung auswirken können, zu berücksichtigen, z.B.:

  • Durchbrechungen von Liefer- und Wertschöpfungsketten aufgrund der Handelsbeschränkungen
  • Fremdwährungsverluste
  • Beschränkungen des Kapitalmarktes und Zahlungsverkehrs
  • Forderungs-/Kreditausfälle

Zur Untermauerung der Fortführungsfähigkeit kann die Erstellung von Planungsrechnungen und Szenarioanalysen erforderlich sein. Dabei sind auch bereits getroffene oder geplante Maßnahmen als Reaktion auf die identifizierten Sachverhalte zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Prognosezeitraums enthält das UGB keine Regelungen. Der Fachsenat der KSW geht von einem Prognosezeitraum von mindestens zwölf Monaten ab dem Abschlussstichtag aus.

Erforderliche Angaben im Abschluss und Lagebericht 2021

Anhang

Ereignisse nach dem Abschlussstichtag, die für ein Unternehmen von wesentlicher Bedeutung sind, sind im Anhang von mittelgroßen und großen Unternehmen anzugeben. Gilt sinngemäß in den IFRS.

Hinweis: Für kleine Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften ist § 238 Abs. 1 Z 11 nicht verpflichtend anzuwenden.

 

Die Anwendung des Grundsatzes der Unternehmensfortführung bei der Bewertung ist im Anhang anzugeben. Wenn Unternehmen derart von den wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges betroffen sind, dass sich eine wesentliche Unsicherheit in Bezug auf die Fortführung des Unternehmens ergibt, ist diese Tatsache im Anhang zu erläutern. Gilt sinngemäß in den IFRS.

Hinweis: Für Kleinstgesellschaften besteht grundsätzlich keine Pflicht zur Erstellung eines Anhangs. Bei wesentlichen Unsicherheiten in Bezug auf die Unternehmensfortführung wird jedoch die Angabe von entsprechenden Erläuterungen im Abschluss empfohlen.

 

Wenn es zu einer Abweichung zwischen der tatsächlichen Ergebnisverwendung und der vorgeschlagenen Ergebnisverwendung kommt, ist keine Änderung des Abschlusses erforderlich.

Hinweis: Gemäß § 82 Abs. 5 GmbHG besteht ein Ausschüttungsverbot für erhebliche Verluste oder Wertminderungen, die nach dem Stichtag eingetreten sind und die das Vermögen nicht bloß vorübergehend geschmälert haben. Das Ausschüttungsverbot bezieht sich auf die erlittene Vermögensschmälerung und gilt sinngemäß auch für andere Kapitalgesellschaften. Ob derartige Verluste oder Wertminderungen vorliegen, ist unternehmensindividuell zu beurteilen.

Lagebericht

In der Berichterstattung über die voraussichtliche Entwicklung eines Unternehmens gem. § 243 Abs. 3 Z 1 ist auch auf etwaige Auswirkungen des Ukraine-Krieges einzugehen.

 

Wenn ein Unternehmen durch den Ukraine-Krieg wesentlichen Risiken ausgesetzt ist, die zu einer negativen Entwicklung bzw. Nichterreichung von Prognosen oder Zielen führen können, ist dies im Lagebericht entsprechend zu erläutern.

 

Das IDW hat die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die Rechnungslegung zum Stichtag 31.12.2021 und deren Prüfung ausführlich in einem fachlichen Hinweis erörtert. Eine vergleichbare Stellungnahme ist von Seiten des AFRAC zu erwarten.

 


Quelle: Brandstetter/Nitschinger, Bilanzielle Auswirkungen der Ukraine-Krise, LexisNexis 360 [abgerufen am 8.3.2022
Autorinnen: Verena Nitschinger und Kerstin Brandstetter


[1] Der aktuelle Stand der EU-Sanktionsmaßnahmen gegen Russland und die besetzten Gebiete Donezk und Luhansk ist auf der WKO-Website, Außenwirtschaft Austria, abrufbar und wird von der WKO regelmäßig aktualisiert.

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