Ob Wasserstoff tatsächlich halten kann, was er verspricht

In meinem letzten Artikel ging es um die Ironie der erneuerbaren Energien: Wir wissen, wie sie technologisch machbar sind, aber schaffen es nicht sie flächendeckend einzusetzen – es scheitert an nicht vorhandener Infrastruktur. Die COP26 ist mittlerweile beendet und in vielen Vorträgen, Interviews und Diskussionen geisterte „Wasserstoff“ als Allheilmittel herum. Tatsächlich ist H2 das Bindeglied in der grünen Wende, hochenergieintensive Bereiche, wie die Stahlindustrie oder Schwerlasttransport, können aus heutiger Sicht noch nicht elektrifiziert werden. Genau hier aber kann ein Umstieg auf Wasserstoff den Weg zur Nachhaltigkeit ebnen. Deswegen möchte ich mich dem Infrastrukturthema noch tiefer widmen und einigen Mythen nachgehen mit der Frage, ob Wasserstoff halten kann, was er verspricht und was es braucht, um ihn länderübergreifend einzusetzen.

 

Mythos 1: Wasserstoff ist immer nachhaltig

Falsch.

Bevor man sich ernsthaft mit Wasserstoff als Treiber der Energiewende auseinandersetzen kann, muss man sich über eines bewusst werden: Nur weil etwas mit H2 betitelt wird, ist es noch lange nicht umweltfreundlich. Die Erzeugung von Wasserstoff wird derzeit zu einem Großteil aus Kohle oder Erdgas betrieben, „schmutzigen“ Ressourcen, von denen wir uns eigentlich verabschieden wollen. Damit Wasserstoff also tatsächlich grün ist, muss er aus erneuerbaren Energien hergestellt werden. Allerdings gibt es hier noch ein Kapazitätsproblem, dass dieses gelöst wird, liegt an der Politik und entsprechenden Förderungen.

Eine effiziente Variante zur Herstellung von H2 ist Solarenergie. Diese wird vor allem in Ländern und Regionen mit ausreichenden Flächen für Anlagen erzeugt – zum Beispiel in Nordafrika, der Ukraine, Spanien. Energie-Experte und EU-Berater Walter Boltz erklärte dazu zuletzt in Ö1, dass es in Österreich hierfür bloß ein begrenztes Potential gäbe, weswegen davon auszugehen sei, dass wir immer in einer Abhängigkeit von Import bleiben würden. Dreht man in der Green Transition also Ländern wie Russland den Gashahn zu, dann muss man den Wasserstoffhahn anderenorts aufdrehen. Vorteil: Das Potential in großen Mengen Wasserstoff zu erzeugen haben mehrere Regionen global gesehen, eine monopolisierte Abhängigkeit wie die bisherige von Russland kann dadurch also vermieden werden. Auch anderen Ländern geht es ähnlich wie uns, weswegen die Nachfrage das Angebot durchaus übersteigen könnte. Genau aus diesem Grund soll H2 zuallererst in nicht-elektrifizierbaren Bereichen wie der Schwerindustrie eingesetzt werden – dort wo es alternativlos und wichtig ist. Private Haushalte sollen dagegen auf andere Energieträger umsteigen. Wie ein weiterer Experte, Peter Weinelt (Obmann des Fachverbandes für Gas Wärme), sagt: Grüner Wasserstoff für alle, das ist aus heutiger Sicht einfach nicht realistisch.

 

Mythos 2: Wasserstoff soll Gas ersetzen

Richtig.

Solarenergie ist einer der Schlüssel zu mehr Wasserstoff. Auch die COP26 wies in den letzten Wochen auf die besondere Bedeutung der Sonne hin: Die gesamte Energie, welche die Menschheit in einem Jahr braucht, entspricht genauso viel Energie wie die Erde von der Sonne aus innerhalb einer Stunde erreicht. Dieses großteils noch ungenutzte Potential, gemeinsam mit Wind- und Wasserenergie, soll über Grenzen hinweg ausgetauscht werden, um Spitzen und Tiefen der erneuerbaren Energien auszugleichen. Dass diese neuen Energiequellen in Form von Wasserstoff leistungsfähig sind, zeigen etliche Versuche. Peter Weinelt kann unterschreiben, dass schon jetzt Wasserstoff dem bestehenden Gasnetz problemlos beigemischt werden kann. Im einem Mischverhältnis von 1:9 erzeugt damit zurzeit eine Gasturbine in Wien unkompliziert Strom und Wärme.

Das Endziel ist es, sich vollkommen von Erdgas zu verabschieden und durch die Leitungen nur mehr grünen Wasserstoff zu transportieren. In der EU soll mit dem European Hydrogen Backbone so ein grenzüberschreitendes Netzwerk aufgebaut werden – verwendet werden dafür zu 75% schon bestehende Pipelines. Diese Leitungen können angepasst und für Wasserstoff verwendet werden. Aber der Wechsel auf Wasserstoff kann auch nicht einfach von heute auf morgen passieren: 25% des Netzwerkes muss neu erbaut werden, dort wo es keine leeren Leitungen gibt. In der Übergangsphase zu Wasserstoff muss immerhin weiter Erdgas bereitgestellt werden – ein schleichender Wechsel.

 

Mythos 3: Wasserstoff macht den Energiemarkt global

Richtig.

Neben der europäischen Initiative traute man sich auf der COP26 an eine weltweites Gedankenspiel heran. Wie in meinem letzten Beitrag erwähnt, gibt es die sogenannte Green Grids Initiative, die mittlerweile von 80 interessierten Ländern unterstützt wird (Österreich ist nicht dabei). Der Plan ist hier nicht nur der Ausgleich von Versorgungshöhen und -tiefen, sondern auch die finanzielle Unterstützung von ärmeren Ländern durch reichere. Wer also die sonnigen Vorteile der Südländer für sich nutzen möchte, muss auch bereit sein, sich die Kosten zu teilen.

Wieso aber ist bei Infrastruktur für die Energiewende immer von Verteilnetzwerken und Leitungen die Rede? Die Erzeugung von erneuerbaren Energien findet dezentral statt, das bedeutet, dass Solar-, Wind- oder Wasserenergie dort erzeugt werden muss, wo es Sonne, Wind oder Wasser nun mal gibt. Von herkömmlichen Ressourcen, wie Kohle oder Gas, sind wir es gewohnt, dass diese direkt bis an den Ort ihrer Umwandlung – wie etwa große Industriebetriebe – geschifft werden können. Energieträger wie Wasserstoff müssen aber einen längeren Weg hinter sich legen, dafür eignen sich Netzwerke am besten. Auf herkömmlichen Transport wird man aber nicht verzichten können: Aus erzeugungsintensiven Regionen, wie etwa Afrika, wird Wasserstoff in die Welt verteilt werden müssen. Geschehen kann das durch Schiffe, die etwa an europäische Häfen liefern, von wo weg wiederum H2 in den European Hydrogen Backbone eingespeist werden wird. Wichtig dabei ist, dass die verwendeten Transportmittel, die nicht-elektrifizierbar sind, dabei selbst von Wasserstoff angetrieben werden.

 

Fazit

Die Aufklärung dieser Wasserstoffmythen hat hoffentlich Licht ins Dunkel gebracht, aber auch die Komplexität dieses doch nicht vollkommenen Allheilmittels aufgezeigt. Wasserstoff ist nur ein Puzzlestück von vielen, das die Energiewende ermöglicht. Allein die Kapazitätsbeschränkungen von H2 zeigen schon, dass es noch andere Energieträger brauchen wird. Zum komplizierten Aufbau passender Infrastrukturen kommt noch hinzu, dass entlang dieser Verteilkette etliche verschiedene Player sitzen, die es zu koordinieren gilt: Hersteller, Verteiler und Nutzer versucht man auf europäischer Ebene durch sogenannte IPCEI-Projekte (Important Projects of Common European Interest) auf einen Nenner zu bringen. Verschiedene Unternehmen aus verschiedenen EU-Ländern bilden darin ein großes EU-Konsortium, welche die gesamte Wertschöpfungskette von Wasserstoff abbilden soll. Ein pan-europäischer Kraftakt, dem in Zukunft dann vielleicht die Vernetzung auf der ganzen Welt folgt.

 

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