Die umsatzsteuerliche Organschaft erlaubt es, mehrere finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch eng verbundene Rechtsträger zu einem einzigen Unternehmer zusammenzufassen. Innenumsätze zwischen den Mitgliedern der Organschaft sind dann nicht steuerbar, was insbesondere bei fehlender (vollständiger) Vorsteuerabzugsberechtigung zu Steuervorteilen führen kann.
Durch die Rechtsprechung des VwGH und des EuGH sowie durch den UStR-Wartungserlass 2022 ergeben sich Änderungen bei der umsatzsteuerlichen Organschaft, die im Wesentlichen dazu führen, dass die Eingliederungsvoraussetzungen zukünftig leichter zu erfüllen sind:
Highlights der EuGH-Entscheidungen in den Rs Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie (C-141/20) und Finanzamt T gegen S (C-269/20)
EuGH 1.12.2020, C-141/20, Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie
Die deutsche Finanzverwaltung hat die Bildung einer Organschaft zwischen der A (Körperschaft öffentlichen Rechts) als Organträgerin und der Norddeutschen Gesellschaft für Diakonie (NGD) als Organgesellschaft nicht anerkannt. Die A hielt nämlich 51% der Anteile an der NGD, aber nicht die Mehrheit der Stimmrechte.
Der EuGH erteilte der deutschen (und bislang auch österreichischen) Rechtsansicht zum kumulativen Erfordernis einer mehrheitlichen Kapital- und Stimmrechtsbeteiligung eine Absage: Um eine Organschaft begründen zu können, brauche es nicht in jedem Fall eine Kapital- und Stimmrechtsmehrheit. Vielmehr sei es auch ausreichend, wenn der Organträger – wie im vorliegenden Fall - „lediglich“ eine einfache Kapitalmehrheit hält.
EuGH 1.12.2020, C-269/20, Finanzamt T gegen S
Die Organgesellschaft (U-GmbH) erbrachte unter anderem Reinigungsleistungen an die Organträgerin S, eine gemischt tätige Stiftung öffentlichen Rechts. Die Reinigungsleistungen erfolgten sowohl an den hoheitlichen Bereich als auch an den unternehmerischen Bereich. Die Steuerpflichtigen behandelten die Reinigungsleistungen insgesamt als nicht steuerbare Innenumsätze. Die deutsche Finanzverwaltung war demgegenüber der Ansicht, dass für die Leistungserbringung an den hoheitlichen Bereich eine Eigenverbrauchsbesteuerung vorzunehmen wäre.
Der EuGH teilte die Meinung der deutschen Steuerverwaltung nicht: Die Leistungserbringung an den hoheitlichen Bereich erfolge nämlich nicht zu unternehmensfremden Zwecken. Folgerichtig dürfen die nationalen Steuerbehörden in derartigen Sachverhaltskonstellationen keine Umsatzsteuer für einen vermeintlichen Eigenverbrauch vorschreiben.
Reaktionen der österreichischen Finanzverwaltung zu den Urteilen des EuGH stehen bislang aus. Neuerungen ergeben sich aber durch den UStR-Wartungserlass 2022.
Neuerungen durch den UStR-Wartungserlass 2022
Mit dem Wartungserlass 2022 kam es zu mehreren Änderungen im Bereich der Organschaft. Die Neuerungen dienten dabei vorwiegend der Klarstellung der Rechtsansicht der österreichischen Finanzverwaltung und der Einarbeitung von aktueller Rechtsprechung.
Unternehmerische Tätigkeit als Voraussetzung für eine Einbeziehung in die Organschaft (Rz 233)
Nur unternehmerisch tätige Personen können Mitglieder einer Organschaft sein. Damit ist beispielsweise die Einbeziehung von reinen Beteiligungsholdings oder ausschließlich hoheitlich tätigen Körperschaften öffentlichen Rechts in eine Organschaft ausgeschlossen.
Keine Begründung eines neuen Organschaftsverhältnisses während eines laufenden Insolvenzverfahrens (Rz 235)
Schon bislang wurde von der österreichischen Finanzverwaltung vertreten, dass es infolge der Insolvenzeröffnung zu einem Wegfall der organisatorischen Eingliederung kommt und der betroffene Steuerpflichtige dadurch aus der Organschaft ausscheidet. Neu sind die Aussagen zur Organschaftsbildung während eines laufenden Insolvenzverfahrens: Eine Aufnahme von Gesellschaften in der Insolvenz ist demnach nicht möglich, solange das Insolvenzverfahren noch nicht abgeschlossen ist.
Vermittlung der finanziellen Eingliederung über reine Beteiligungsholdings (Rz 236)
In Einklang mit der Rechtsprechung des BFH (BFH 2.12.2015, V R 67/14) kann das Kriterium der finanziellen Eingliederung – jedenfalls ab 1.1.2023 – auch aufgrund einer ausreichenden mittelbaren Beteiligung über eine nichtunternehmerisch tätige Zwischenholding erfüllt sein. Die Zwischenholding ist dabei mangels unternehmerischer Tätigkeit nicht in die Organschaft einzubeziehen (siehe oben).
Wirtschaftliche Eingliederung über eine andere Organgesellschaft (Rz 237)
Über den typischen Fall abgestimmter wirtschaftlicher Tätigkeiten zwischen Organträger und Organgesellschaft hinaus lässt die Finanzverwaltung in Einklang mit der BFH-Rechtsprechung (BFH 20.8.2009, V R 30/06; 1.2.2022, V R 23/21) nunmehr auch ausreichen, wenn die betriebswirtschaftliche Verflechtung mit einer anderen Organgesellschaft besteht, solange die andere Organgesellschaft mit dem Organträger wirtschaftlich verbunden ist.
Beispiel: Eine Organgesellschaft vertreibt Waren, die von einer anderen Organgesellschaft produziert werden. Die andere Organgesellschaft bezieht die für die Produktion benötigten Rohstoffe vom Organträger.
Organisatorische Eingliederung auch ohne doppelte Geschäftsführerbestellung (Rz 239)
Angesichts der jüngeren Rechtsprechung des VwGH (VwGH 16.11.2021, Ra 2020/15/0101) ist für die Erfüllung des Kriteriums der organisatorischen Eingliederung jedenfalls nicht mehr zwingend erforderlich, dass dieselbe Person sowohl beim Organträger als auch bei der Organgesellschaft zum:r Geschäftsführer:in bestellt ist. Mit dem Wartungserlass 2022 wurden die entsprechenden Feststellungen des VwGH in die Umsatzsteuerrichtlinien eingearbeitet. Demnach ist eine organisatorische Eingliederung gegebenenfalls auch dann anzunehmen, wenn eine Person beim Organträger als leitende:r Mitarbeiter:in und bei der Organgesellschaft als Geschäftsführer:in beschäftigt ist und die wesentlichen administrativen Aufgaben in der Organgesellschaft durch den Organträger erbracht werden.
Fazit
Die jüngsten Entwicklungen haben gezeigt: Die Anforderungen an die Bildung einer Organschaft werden zunehmend geringer. Das erleichtert die Begründung einer Organschaft zwischen verbundenen Unternehmen, kann aber auch schneller als bislang zu einer „Organschaft wider Willen“ führen. Anders als in den meisten anderen Mitgliedsstaaten treten die Rechtsfolgen der Organschaft bei Erfüllung der Voraussetzungen nämlich automatisch ein. Für vergangene Besteuerungszeiträume können sich die betroffenen Steuerpflichtigen wohl in der Regel auf den Vertrauensschutz berufen; insbesondere für zukünftige Zeiträume empfiehlt es sich jedoch, die unlängst erfolgten Neuerungen zum Anlass zu nehmen, um die gegenwärtigen Konzernstrukturen in Hinblick auf mögliche Organschafen zu prüfen.
Für Organschaften mit gemischt tätigen Körperschaften öffentlichen Rechts als Organträgern bringt die EuGH-Entscheidung in der Rs Finanzamt T gegen S (C-269/20) Klarheit: Auch die Leistungsverrechnung an den hoheitlichen Bereich kann ohne Umsatzsteuerbelastung erfolgen (weder Ausgangsumsatzbesteuerung noch Eigenverbrauch). Die Korrektur hat in diesen Fällen stattdessen über den Vorsteuerschlüssel zu erfolgen: Der Vorsteuerabzug steht somit nur für gegebenenfalls anteilige Leistungen an den unternehmerischen Bereich des Organträgers zu.
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Autorin:
Stefanie Geringer
stefanie.geringer@bdo.at
+43 5 70 375 - 1588
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