Grenzüberschreitendes Teleworking

Grenzüberschreitendes Teleworking

Unser Thema am People Thursday, dem 19. Jänner 2023:


 

Die Covid-19-Pandemie hat die Arbeitswelt nachhaltig verändert und insbesondere zu einer erhöhten Flexibilität der örtlichen Arbeitsausübung geführt. Viele Arbeitnehmer:innen möchten auch nach der Rückkehr zu normalen Arbeitsumständen die Vorteile der Telearbeit nutzen. Damit dies mit überschaubarem Aufwand auf Arbeitnehmer:innen- und Arbeitgeberseite auch tatsächlich umgesetzt werden kann, müssen im Steuer- und Sozialversicherungsrecht neue Strukturen geschaffen oder bereits vorhandene Regelungen neu interpretiert werden. Insbesondere im Bereich des Sozialversicherungsrechts gibt es sowohl auf Ebene der EU als auch auf bilaterale Ebene bereits erste Überlegungen und Maßnahmen, um die rechtlichen Rahmenbedingungen für die gewünschte Flexibilisierung der Arbeitswelt zu schaffen. Diese sollen im folgenden Beitrag vorgestellt werden.
 

Regelungen gemäß Verordnung (EG) 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit 

Für Tätigkeiten innerhalb der EU, des EWR und der Schweiz (im Folgenden als „Mitgliedstaaten” bezeichnet) gilt die Verordnung (EG) 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Grundsätzlich ist in der VO (EG) 883/2004 das Territorialitätsprinzip vorgesehen, das besagt, dass eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats unterliegt. Neben dem Territorialitätsprinzip ist allerdings auch das Prinzip der Einfachversicherung in der VO (EG) 883/2004 verankert, das dem Territorialitätsprinzip vorgeht. Im Geltungsbereich der Verordnung ist daher immer nur das Sozialversicherungsrecht eines Staates anwendbar, auch wenn eine Person in mehreren Mitgliedstaaten tätig ist und es nach dem Tätigkeitsprinzip zur gleichzeitigen Versicherung in mehreren Staaten kommen würde. Welches Sozialversicherungsrecht bei der Tätigkeit in mehreren Staaten zur Anwendung kommt, wird in der VO 883/2004 geregelt. Dabei wird grundsätzlich zwischen einer Entsendung und einem Multi-State-Worker unterschieden.

Bei Entsendungen kommt die Sonderregelung des Artikel 12 Abs. 1 der VO (EG) 883/2004 zur Anwendung. Wird eine Person von ihrem Arbeitgeber in einen anderen Mitgliedstaat entsandt, um dort eine Arbeit auf Rechnung des Arbeitsgebers auszuführen, unterliegt die Person weiterhin den Rechtsvorschriften des Entsendestaats, wenn die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit 24 Monate nicht überschreitet und die entsendete Person nicht eine andere entsandte Person ablöst.

Übt eine Person gewöhnlich in zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine Beschäftigung aus, ist die Person gemäß Artikel 13 VO (EG) 883/2004 als Multi-State-Worker zu qualifizieren. Wird ein wesentlicher Teil der Tätigkeit im Wohnmitgliedstaat ausgeübt, unterliegt die Person den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats. Wird allerdings kein wesentlicher Teil der Tätigkeit im Wohnmitgliedstaat ausgeübt, unterliegt die Person grundsätzlich den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften des Staats, in dem das Arbeitgeberunternehmen seinen Sitz hat.

 

Sonderregelung während der Covid-19-Pandemie bis 30.6.2022 und Übergangszeitraum bis 30.6.2023

Durch die Covid-19-Pandemie und die mit ihr verbundenen Reisebeschränkungen war eine Vielzahl von Arbeitnehmer:innen gezwungen, ihre Tätigkeit nicht mehr am Sitz des Arbeitgebers, sondern im Home Office auszuüben. Für ausländische Arbeitnehmer:innen, die vor der Pandemie ausschließlich am Sitz des Arbeitgebers tätig waren, aufgrund der Pandemie jedoch einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit vom Home Office aus erbracht haben, hätte dies einen Wechsel der Sozialversicherungszuständigkeit zur Folge gehabt. Um einen Wechsel der Sozialversicherungszuständigkeit während der Covid-19-Pandemie zu verhindern, hat die EU-Verwaltungskommission eine Sonderregelung geschaffen, wonach ausschließlich coronabedingtes Home Office zu keiner Änderung der Sozialversicherungszuständigkeit führte. Die Dienstnehmer:innen fielen weiterhin unter das Sozialversicherungssystem, unter das sie gefallen wären, wenn die Covid-19-Pandemie nicht eingetreten wäre. Diese Sonderregelung war bis 30.6.2022 gültig. Ab 1.7.2022 wären grundsätzlich wieder die oben beschriebenen Regelungen gemäß VO (EG) 883/2004 anzuwenden. Um jedoch abrupte Zuständigkeitsänderungen zu vermeiden und den betroffenen Personen Zeit für eine Neubewertung der Situation zu geben, wurde ein Übergangszeitraum festgelegt, in dem die Covid-19-Sonderregelungen weiterhin anwendbar bleiben. Derzeit ist der Übergangszeitraum bis 30.6.2023 vorgesehen.

 

Zukünftige Rechtslage innerhalb der EU – Leitfaden zur Telearbeit

Die Covid-19-Pandemie und die damit einhergehenden Reisebeschränkungen haben insbesondere die Tätigkeit im Home Office forciert und die Arbeitswelt nachhaltig verändert. Daher hat die Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit einen Leitfaden zur Telearbeit veröffentlicht. Ziel des Leitfadens ist es, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie die Regelungen der VO (EG) 883/2004 zukünftig interpretiert werden können, um in Einklang mit der geänderten Arbeitsrealität (insbesondere der vermehrten grenzüberschreitenden Home Office Tätigkeit) gebracht zu werden.

Im Leitfaden definiert die Verwaltungskommission die grenzüberschreitende Telearbeit als Arbeitsleistung,

  • die außerhalb der Arbeitsstätte bzw. des Betriebsgeländes
  • in einem anderen EU-Mitgliedstaat als jenem der üblichen Arbeitsstätte
  • unter Einsatz von Informationstechnologie (um mit der Arbeitsumgebung des Unternehmens und anderer Beteiligter bzw. mit Kund:innen verbunden zu bleiben)

erbracht wird. Weiters muss die Telearbeit zwischen dem Arbeitgeber und dem:der Arbeitnehmer:in vereinbart werden und darf ausschließlich Leistungen umfassen, die der:die Arbeitnehmer:in üblicherweise am Arbeitsplatz erbringt.

Im Leitfaden wird angedacht, dass die Home Office Tätigkeit möglicherweise unter die Entsendebestimmung des Artikel 12 VO (EG) 883/2004 fallen könnte.

Wie bereits oben erwähnt ist Artikel 12 VO (EG) 883/2004 anwendbar, wenn eine Person von ihrem Arbeitgeber in einen anderen Mitgliedstaat entsendet wird, um dort eine Arbeit auf Rechnung des Arbeitsgebers auszuführen. Die entsendete Person unterliegt weiterhin den Rechtsvorschriften des Entsendestaats, wenn die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit 24 Monate nicht überschreitet und die entsendete Person nicht eine andere entsandte Person ablöst. Im Leitfaden werden bezogen auf die Telearbeit beispielsweise folgende Anwendungsfälle genannt: vorübergehende Telearbeit während die Büroräumlichkeiten renoviert werden, vorübergehende Telearbeit während kranke Angehörige betreut werden müssen, vorübergehende Telearbeit, um an einem bestimmten Projekt konzentriert arbeiten zu können, oder Telearbeit, um vor oder nach einem Urlaubsaufenthalt am Urlaubsort zu arbeiten (siehe dazu auch den Beitrag: „Workation. Die Grenzen zwischen Arbeit (work) und Urlaub (vacation) verschwimmen“ vom 1.9.2022). Telearbeit ist jedoch nur dann von Artikel 12 VO (EG) 883/2004 erfasst, wenn die Telearbeit nicht Teil des gewöhnlichen Arbeitsrhythmus ist.

Wird die Telearbeit hingegen wiederkehrend und regelmäßig im Rahmen des Arbeitsverhältnisses ausgeübt, ist die Anwendbarkeit des Artikel 13 VO (EG) 883/2004 und die Qualifikation des:r Arbeitnehmer:in als Multi-State-Worker zu prüfen.

Übt eine Person gewöhnlich in zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine Beschäftigung aus, unterliegt sie den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, wenn dort ein wesentlicher Teil der Tätigkeit ausgeübt wird. Wird allerdings kein wesentlicher Teil der Tätigkeit im Wohnmitgliedstaat ausgeübt, unterliegt die Person grundsätzlich den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften des Staats, in dem das Arbeitgeberunternehmen seinen Sitz hat. Um festzustellen, ob ein wesentlicher Teil der Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausgeübt wird, werden gemäß Artikel 14 Durchführungsverordnung 987/2009 im Falle einer Beschäftigung die Arbeitszeit und/oder das Arbeitsentgelt herangezogen. Wird in einem Betrachtungszeitraum der kommenden zwölf Monate in einem Mitgliedstaat ein Anteil von weniger als 25% erreicht, so ist dies ein Anzeichen dafür, dass ein wesentlicher Teil der Tätigkeit nicht im entsprechenden Mitgliedstaat ausgeübt wird. Bisher wurde daher angenommen, dass das Sozialversicherungsrecht des Wohnmitgliedstaats anwendbar ist, wenn dort zumindest 25% der Arbeitsleistung erbracht werden. In den Leitlinien weist die Verwaltungskommission darauf hin, dass die 25%-Grenze nur ein Richtwert ist. Da Telearbeit eine neue Realität für Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber darstellt, die in der Verordnung bisher nicht berücksichtigt wurde, könnte die 25%-Grenze situationsbezogen flexibler ausgelegt werden. Im Fall von Telearbeit bleiben die Arbeitnehmer:innen eng mit der Arbeitsstätte verbunden, was es den Arbeitnehmer:innen ermöglicht, im Home Office dieselbe Tätigkeit auszuüben wie am Sitz des Arbeitgebers. Eine flexiblere Lösung wäre insbesondere deshalb wünschenswert, weil es sonst zu einer Benachteiligung von grenzüberschreitend tätigen Arbeitnehmer:innen im Vergleich zu rein national tätigen Arbeitnehmer:innen kommen könnte.

Zusätzlich besteht die Möglichkeit, abweichend von den oben genannten Bestimmungen, bilaterale bzw. multilaterale Ausnahmevereinbarungen nach Artikel 16 VO (EG) 883/2004 abzuschließen, die nicht nur einzelne Personen, sondern auch bestimmte Personengruppen (z.B. Arbeitnehmer:innen im Home Office, Telearbeiter) umfassen können. Bezugnehmend auf diese Bestimmung hat das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz bereits zahlreichen Nachbarstaaten Österreichs den Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung vorgeschlagen. Mit Ausnahme von Deutschland (siehe dazu gleich) wurden jedoch bisher noch keine konkreten Verhandlungen aufgenommen.

 

Zukünftige Rechtslage im Verhältnis zwischen Österreich und Deutschland - Rahmenvereinbarung über die Anwendung von Artikel 16 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 bei gewöhnlicher grenzüberschreitender Telearbeit

Zwischen Österreich und Deutschland wurde eine Rahmenvereinbarung über die Anwendung von Artikel 16 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 bei gewöhnlicher grenzüberschreitender Telearbeit abgeschlossen.

Die Rahmenvereinbarung gilt für jene Personen, die in den Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 fallen, wenn sie in Deutschland oder Österreich wohnen und sich die Geschäftsräume des Arbeitgebers im jeweils anderen Staat befinden.

Der Ausdruck „gewöhnliche grenzüberschreitende Telearbeit“ bedeutet eine abhängige Beschäftigung gemäß der in den Leitlinien genannten Definition von „Telearbeit“, die unter den folgenden Umständen ausgeübt wird:

Eine Person

  • übt die abhängige Beschäftigung üblicherweise regelmäßig wiederkehrend und für denselben Arbeitgeber aus, und zwar
  • sowohl in dem Staat, in dem sich die Geschäftsräume des Arbeitgebers befinden, als auch in ihrem Wohnstaat in der Regel in der häuslichen Umgebung und
  • unter Einsatz von Informationstechnologie, um mit dem Arbeitsumfeld des Arbeitgebers in Verbindung zu bleiben und um die vom Arbeitgeber zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen.

Da die Rahmenvereinbarung nur in jenen Fällen gilt, in denen die Beschäftigung für denselben Arbeitgeber ausgeübt wird, ist sie nicht anwendbar, wenn der:die Arbeitnehmer:in eine weitere Beschäftigung oder neben der Beschäftigung zusätzlich eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt.

Auf Antrag gilt für die oben genannten Personen das Sozialversicherungsrecht des Staats, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat, wenn die Telearbeit im Wohnstaat maximal 40% der gesamten Beschäftigung ausmacht. Der Antrag ist vom Arbeitgeber bei der zuständigen Stelle (in Österreich der Dachverband der Sozialversicherungsträger) zu stellen. Die Ausnahmevereinbarung kann für jeweils höchstens zwei Jahre beantragt werden, wobei Verlängerungen auf Antrag möglich sind. Ist Telearbeit im Ausmaß von mehr als 40% vorgesehen, kommt es zur Anwendbarkeit des Sozialversicherungsrechts des Wohnmitgliedstaats. Um in solchen Fällen weiterhin das Sozialversicherungsrecht des Arbeitgeberstaats anzuwenden, müsste ein Antrag auf individuelle Ausnahmevereinbarung gestellt werden.

Die Rahmenvereinbarung ist grundsätzlich seit 1.1.2023 in Kraft und zeitlich nicht befristet. Allerdings wird die Anwendbarkeit der pandemiebedingten Sonderregelung der Verwaltungskommission durch die Rahmenvereinbarung nicht ausgeschlossen, sodass die Regelungen der Rahmenvereinbarung de facto voraussichtlich erst ab 1.7.2023 (mit Auslaufen der Sonderregelung) wirksam werden.

Der Zeitraum der Anwendbarkeit der pandemiebedingten Sonderregelung der Verwaltungskommission wurde mehrfach verlängert und zuletzt wurde ein Übergangszeitraum von einem Jahr vorgesehen. Daran ist erkennbar, dass die Rückkehr zu den allgemeinen Regelungen möglichst spät erfolgen soll, da diese Regelungen mit der tatsächlichen Arbeitspraxis nur schwer vereinbar sind. Wie beschrieben gibt es auf Unionsebene jedoch bereits erste Bemühungen, die bestehenden Regelungen flexibler zu interpretieren, um sie mit der derzeit gelebten Arbeitspraxis in Einklang zu bringen. Auf bilateraler Ebene wurde zwischen Österreich und Deutschland bereits eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen, die den geänderten tatsächlichen Umständen Rechnung tragen soll. Ob weitere bilaterale Vereinbarungen folgen oder ob auf Unionsebene Anpassungen der Verordnung vorgenommen werden, bleibt abzuwarten.

 


Autor:innen:

Cornela Stangl
cornelia.stangl@bdo.at
+43 5 70 375 - 1194

Philipp Sabukoschek
philipp.sabukoschek@bdo.at
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Ansprechpartnerin:

Sprechen Sie mit unserer BDO Expertin für Global Mobility Katja Reichl

katja.reichl@bdo.at
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