Progressionsvorbehalt auch in Österreich als Quellenstaat

Progressionsvorbehalt auch in Österreich als Quellenstaat

Unser Thema am People Thursday, dem 23. März 2023: 


 

Progressionsvorbehalt im Quellenstaat

Das Erkenntnis Ra 2021/13/0067 des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH) vom 7.9.2022 führt zu einer Änderung der bisherigen Verwaltungspraxis, die für jene Personen relevant ist, die in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig, aber nicht ansässig sind. Der VwGH entschied, dass es bei in Österreich unbeschränkt steuerpflichtigen Personen auch dann zur Anwendung des Progressionsvorbehalts kommt, wenn Österreich gemäß Doppelbesteuerungsabkommen nicht als Ansässigkeitsstaat, sondern nur als Quellenstaat des Steuerpflichtigen zu qualifizieren ist.
 

Unbeschränkte Steuerpflicht und Ansässigkeit

Gemäß österreichischem Einkommensteuergesetz (EStG) ist eine Person, die in Österreich einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt (Aufenthalt von mehr als 183 Tagen pro Kalenderjahr) hat, in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig. Die unbeschränkte Steuerpflicht hat zur Folge, dass das gesamte Welteinkommen des:der Steuerpflichtigen der Besteuerung in Österreich unterliegt.

In grenzüberschreitenden Fällen kann es vorkommen, dass eine Person aufgrund ihres Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in mehreren Staaten der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt. In diesem Fall kann es auf Basis des jeweils anwendbaren nationalen Rechts zur Besteuerung des Welteinkommens des:der Steuerpflichtigen in mehreren Staaten kommen. Um eine Mehrfachbesteuerung desselben Einkommens zu vermeiden, hat Österreich mit einer Vielzahl von Staaten sogenannte Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) abgeschlossen. Die Doppelbesteuerungsabkommen teilen das Besteuerungsrecht für verschiedene Einkunftsarten zwischen dem abkommensrechtlichen Ansässigkeitsstaat und dem abkommensrechtlichen Quellenstaat auf.

Gemäß Doppelbesteuerungsabkommen ist eine Person in jenem Staat steuerlich ansässig, in dem sie aufgrund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist. Ist eine Person auf Basis dieser Kriterien in beiden Vertragsstaaten ansässig, so ist jener Staat als abkommensrechtlicher Ansässigkeitsstaat zu qualifizieren, zu dem der:die Steuerpflichtige die engeren persönlichen oder wirtschaftlichen Beziehungen hat, also dort, wo sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen befindet. Der andere Staat wird im Doppelbesteuerungsabkommen als Quellenstaat bezeichnet.

Die Entlastung von der Doppelbesteuerung ist durch den Ansässigkeitsstaat vorzunehmen. Diese erfolgtje nach konkretem Doppelbesteuerungsabkommen entweder durch Anwendung der Anrechnungsmethode oder durch Anwendung der Befreiungsmethode. Bei der Anrechnungsmethode werden sämtliche Einkünfte des:der Steuerpflichtigen im Ansässigkeitsstaat besteuert und die im Quellenstaat bereits geleistete Steuer auf die im Ansässigkeitsstaat zu zahlende Steuer (bis zum Anrechnungshöchstbetrag) angerechnet. Bei der Befreiungsmethode wird jener Anteil der Einkünfte, für die der Quellenstaat das Besteuerungsrecht erhält, im Ansässigkeitsstaat von der Besteuerung freigestellt, also nicht in die Steuerbemessungsgrundlage aufgenommen. Viele Doppelbesteuerungsabkommen sehen im Fall der Befreiungsmethode jedoch einen Progressionsvorbehalt vor. Dies bedeutet, dass der Ansässigkeitsstaat die befreiten Einkünfte für die Berechnung des anwendbaren Steuersatzes heranziehen darf. 


Bisherige Rechtslage

In jenen Fällen, in denen ein:e Steuerpflichtige:r in Österreich nach nationalem Recht unbeschränkt steuerpflichtig war und Österreich abkommensrechtlich als Ansässigkeitsstaat zu qualifizieren war, wurden jene Einkünfte, für die der Quellenstaat gemäß Doppelbesteuerungsabkommen das Besteuerungsrecht hatte, in Österreich von der Besteuerung freigestellt. Diese wurden jedoch bei Berechnung des anwendbaren Steuersatzes berücksichtigt.

In jenen Fällen, in denen ein:e Steuerpflichtige:r in Österreich nach nationalem Recht zwar unbeschränkt steuerpflichtig war, Österreich abkommensrechtlich jedoch nur als Quellenstaat zu qualifizieren war, sahen die Einkommensteuerrichtlinien (Rz 7595) vor, dass in diesem Fall in Österreich im Allgemeinen kein Progressionsvorbehalt zu berücksichtigen war. Gemäß Einkommensteuerrichtlinien und Verwaltungspraxis bestand daher ein einfacher Progressionsvorbehalt zugunsten des Ansässigkeitsstaats.

 

Erkenntnis des VwGH und Änderung der Rechtslage

Der VwGH entschied im Erkenntnis Ra 2021/13/0067 vom 7.9.2022 über einen grenzüberschreitenden Sachverhalt zwischen Österreich und der Türkei. Die Dienstnehmerin verfügte sowohl in Österreich als auch in der Türkei über einen Wohnsitz. Der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen befand sich in der Türkei, wodurch die Dienstnehmerin gemäß dem zwischen Österreich und der Türkei abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen in der Türkei steuerlich ansässig war.

Die Dienstnehmerin bezog Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit und übte diese Tätigkeit teilweise in Österreich, teilweise in der Türkei oder in Drittstaaten aus. Auf Basis des Doppelbesteuerungsabkommens erhielt Österreich als Quellenstaat das Besteuerungsrecht für jenen Teil der Bezüge, der auf Tätigkeitstage in Österreich entfiel. Die Türkei hat als abkommensrechtlicher Quellenstaat die Doppelbesteuerung der in Österreich besteuerten Einkünfte zu vermeiden. Obwohl Österreich im vorliegenden Fall unstrittig nur als Quellenstaat zu qualifizieren war, wurde im Rahmen der Arbeitnehmer:innenveranlagung der anzuwendende Steuersatz vom Finanzamt auf Basis des Welteinkommens, also auch unter Berücksichtigung der in der Türkei steuerpflichtigen Bezüge, bestimmt. Gegen den Einkommensteuerbescheid erhob die Abgabepflichtige Beschwerde, die bereits in erster Instanz vom Bundesfinanzgericht (BFG) abgewiesen wurde. Der VwGH bestätigte in seinem Erkenntnis Ra 2021/13/0067 die Ansicht des BFG und wies den Antrag der Revisionswerberin ebenfalls als nicht begründet ab. Entgegen der Behauptung der Revisionswerberin, sei die Unzulässigkeit der Anwendung eines Progressionsvorbehalts durch den Quellenstaat weder aus den Kommentaren zum OECD-Musterabkommen noch aus Art. 22 des DBA mit der Türkei abzuleiten. Sowohl das Musterabkommen als auch das DBA mit der Türkei beziehen sich auf den Progressionsvorbehalt im Ansässigkeitsstaat und lassen einen Progressionsvorbehalt für den Quellenstaat offen.

Laut VwGH muss bei der Beurteilung der Steuerpflicht grenzüberschreitender Sachverhalte zunächst der Steueranspruch nach innerstaatlichem Steuerrecht, also durch Anwendung des EStG, ermittelt werden. Bei unbeschränkt Steuerpflichtigen ist das nach den Vorschriften des EStG ermittelte Welteinkommen heranzuziehen. Auf der Grundlage dieses Steueranspruchs errechnet sich der anzuwendende Durchschnittssteuersatz. Sodann wird der Teil des Einkommens, das aufgrund des Doppelbesteuerungsabkommens der Besteuerungsbefugnis Österreichs entzogen wird, aus der Bemessungsgrundlage ausgeschieden und der zuvor ermittelte Durchschnittssteuersatz auf das übrige Einkommen angewendet. Gemäß Erkenntnis des VwGH ist bei in Österreich unbeschränkt steuerpflichtigen Personen daher stets ein Progressionsvorbehalt zu berücksichtigen, und zwar unabhängig davon, ob Österreich im Sinne des jeweils anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommens als Ansässigkeitsstaat oder als Quellenstaat zu qualifizieren ist.

Das Erkenntnis des VwGH hat zu einer Anpassung der Einkommensteuerrichtlinien geführt. Die relevante Bestimmung (Rz 7595) wird künftig wie folgt lauten: „Die Anwendung des Progressionsvorbehalts erfolgt bei unbeschränkt Steuerpflichtigen nicht nur, wenn Österreich der abkommensrechtliche Ansässigkeitsstaat ist, sondern ab der Veranlagung für das Jahr 2022 auch, wenn Österreich der abkommensrechtliche Quellenstaat ist.“

Fazit: Gemäß dem Entwurf des Einkommensteuerrichtlinienwartungserlasses, soll diese Regelung ab dem Veranlagungsjahr 2022 zur Anwendung kommen. Dies wird im Falle von in Österreich unbeschränkt Steuerpflichtigen, aber abkommensrechtlich nicht in Österreich ansässigen Personen nicht nur zu einem erhöhten Aufwand bei der Erstellung der Steuererklärungen, sondern auch zu einer höheren Steuerbelastung führen, da zukünftig alle im Ausland erzielten Einkünfte zur Berechnung des Progressionsvorbehalts nach österreichischen Rechtsvorschriften zu ermitteln sind.


 

Autor:innen: 

Cornelia Stangl

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Philipp Sabukoschek

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