Zukunft von Recruiting - Wo geht die Reise hin?

Zukunft von Recruiting - Wo geht die Reise hin?

Unser Thema am People Thursday, dem 20. April 2023: 


 

Nachhaltigkeit, künstliche Intelligenz und arbeitsrechtliche Erfordernisse im Fokus! 

HR-Management und damit auch Recruiting befindet sich aufgrund der aktuellen Weltwirtschaftssituation und des zunehmenden Arbeitskräftemangels im permanenten Wandel. In Zeiten, in denen das VUCA-Modell (Volatilität, Ungewissheit, Komplexität, Ambiguität) vom BANI-Modell (brüchig, ängstlich, nicht linear, unbegreiflich) abgelöst wird und künstliche Intelligenz zunehmend ihren Einsatz findet, verändert sich auch der Schwerpunkt im Bereich People & Organisation in eine nachhaltige Richtung. Vor allem in Zeiten des Arbeitskräftemangels rücken die Bindung und Weiterentwicklung von Mitarbeiter:innen verstärkt in den Fokus der Personalarbeit, da das Finden und Gewinnen von geeigneten Arbeitskräften schwieriger werden.

Besonders in den letzten 3 Jahren haben sich Personalsuchprozesse stark verändert. Sie sind komplexer sowie beratungsintensiver geworden und dauern länger. Um nachhaltig zu agieren, braucht es mehr Flexibilität bei der Suche neuer Potenziale. Offenes sowie kreatives Denken und Attitude Hiring sollte an oberster Stelle stehen. Während für den Job benötigte Skills dadurch im Recruiting zunehmend in den Hintergrund rücken, sind soziale Kompetenzen wie Anpassungs- und Lernfähigkeit, Kooperationsfähigkeit und Resilienz wichtiger denn je.

 

Welche Ansatzpunkte für Nachhaltigkeit im Recruiting gibt es?

Nachhaltigkeit ist hier im Sinne von Langlebigkeit zu verstehen. Dies bedeutet ein den Stärken bzw. Interessen entsprechender Einsatz von Mitarbeiter:innen im Unternehmen, um das Wohlbefinden dieser zu steigern. Damit können Kosten für Fluktuation oder Krankenstände reduziert werden, was wiederum für Stabilität sorgt.

Ein effizienter und nachhaltiger Recruiting-Prozess unterstützt Sie dabei, jene Kandidat:innen mit dem höchsten Fit zu gewinnen. Durch lange Auswahlverfahren und Entscheidungswege riskieren Unternehmen, wertvolle Bewerber:innen zu verlieren sowie den Verlust von Ressourcen für andere Personalthemen. Im Sinne einer positiven Employee Experience sollte z.B. der Einsatz eines modernen Bewerbungstools inklusive mobiler „One-click Application“ eine Selbstverständlichkeit sein. Wesentlich ist außerdem, aktuelle Recruiting-Trends zu verfolgen und diese im eigenen Recruiting-Prozess zu hinterfragen.

Während sich die Verantwortlichen im vergangenen Jahr vermehrt mit „Quiet Quitting“ (kurz: Dienst nach Vorschrift) auseinandersetzen mussten, scheint derzeit das sogenannte „Rage Applying“ (kurz: aus Frust heraus, sich bei anderen Unternehmen zu bewerben) im Trend zu sein. Beide Phänomene sind an sich nicht neu, können jedoch negative Effekte auf die gesamte Mitarbeiter:innenzufriedenheit haben. Um Talente nicht zu verlieren, sollten Sie den Blick in die Organisation richten, internes Recruiting für vakante Positionen sowie Weiterbildungen für Ihre Mitarbeiter:innen fördern.

Eine nachhaltige Personalauswahl erfordert zudem das Bewusstsein darüber, dass wir unbewussten Wahrnehmungsverzerrungen, wie z.B. automatische Stereotype und andere unbewusste Denkmuster (sog. „unconscious bias“) unterliegen und sie unsere Entscheidungen beeinflussen. Daher ist eine entsprechende Weiterbildung der handelnden Personen sinnvoll.

Darüber hinaus sollte der Blick von Personalarbeit auch auf die Art und Weise, wie rekrutiert wird, gerichtet werden. Traditionelle Auswahlmethoden, wie z.B. das ausschließliche Veröffentlichen einer Stellenanzeige, sind in Zeiten des Arbeitskräftemangels allein nicht mehr ausreichend, um vakante Positionen zu besetzen. Vielmehr braucht es zielgruppenspezifische, innovative Recruiting-Kampagnen sowie Active Sourcing, beispielsweise durch Unterstützung von Executive Search Consultants. Insbesondere Letztere verfügen über entsprechende Kontakte und richten sich mit einer überzeugenden Story an den passiven Arbeitsmarkt.

Damit Sie auch bei der aktiven Suche nach geeigneten Arbeitskräften am Puls der Zeit zu bleiben, stellen Sie sich die Frage, inwiefern der Einsatz von künstlicher Intelligenz Ihnen mehr Beständigkeit bringen kann. Hierbei hilft es, sich im Vorfeld über die Potenziale und möglichen Risikofaktoren zu informieren.

 

Kann künstliche Intelligenz dazu beitragen, Personalarbeit nachhaltiger zu gestalten?

Für technische Anwendungen im Personalbereich birgt künstliche Intelligenz (vorausgesetzt sie wurde dahingehend trainiert), ein hohes Potenzial, vor allem zum (Pre)Screening von Lebensläufen.
Hierbei werden aus eingegangenen Lebensläufen Shortlists erstellt, ohne dass Lebensläufe manuell gescreent werden müssen.[1] In diesem Arbeitsprozess bringt der Einsatz jedenfalls Zeitersparnis und damit vermutlich effiziente Entscheidungen.[2]

Im Hinblick auf die Kürze des Einsatzes von ChatGPT müssen mögliche Potenziale erst geprüft werden. Die derzeit propagierten Anwendungsfelder wie die Erstellung von Stellenanzeigen, Content Plänen oder auch die Anfertigung von Boolschen Strings für die aktive Suche in LinkedIn und Xing Recruiter bieten zwar kreative Anstöße, bleiben aber meist sehr oberflächlich und sollten jedenfalls von Personen, die im Active Sourcing tätig sind, überprüft werden.

 

Welche arbeitsrechtlichen Erfordernisse sind im Rahmen eines Bewerbungsprozesses zu beachten?

Beim Recruiting neuer Mitarbeiter:innen haben Arbeitgebende bereits im Bewerbungsprozess, wie auch bei der Stellenausschreibung und beim Bewerbungsgespräch, arbeitsrechtliche Vorschriften zu beachten.

So ist im Gleichbehandlungsgesetz normiert, dass Stellenausschreibungen geschlechtsneutral und diskriminierungsfrei zu gestalten sind. Ein Arbeitsplatz darf deshalb weder öffentlich noch betriebsintern nur für Männer oder nur für Frauen oder in einer sonst diskriminierenden Weise (z.B. aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion oder Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Orientierung) ausgeschrieben werden. Ein Verstoß gegen dieses Gebot stellt eine Verwaltungsübertretung dar, die mit einer Geldstrafe von bis zu EUR 360 geahndet wird. Dies gilt jedoch nicht, wenn das betreffende Merkmal eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt (z.B. Religionslehrer:in, Frauenberatung in Frauenhäusern o.ä.).

Außerdem ist in einer Stellenausschreibung das für die Position zustehende Mindestentgelt nach dem anwendbaren Kollektivvertrag betragsmäßig anzugeben. Lediglich ein Hinweis auf das kollektivvertragliche Mindestentgelt ohne betragsmäßige Nennung erfüllt diese Verpflichtung nicht. Die Angabe des Mindestentgelts soll als Verhandlungsbasis dienen. Auf eine Bereitschaft zur Überzahlung kann ebenfalls hingewiesen werden.

Darüber hinaus ist bei der Stellenausschreibung auch darauf zu achten, ob die angeführten Rahmenbedingungen auch mit der beabsichtigten sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung (Vorliegen eines echten Dienstnehmers, eines freien Dienstnehmers oder eines Selbständigen) zusammenpassen. Soll beispielsweise ein freier Dienstnehmer beschäftigt werden, enthält die Stellenanzeige allerdings Merkmale eines echten Dienstnehmers (z.B. fixe Arbeitszeiten, Bindung an den Arbeitsort etc.) kann dies eine Gefahr einer sozialversicherungsrechtliche Umqualifizierung im Rahmen einer späteren GPLB (Gemeinsamen Prüfung von Lohnabgaben und Beiträgen) darstellen.

Im Bewerbungsgespräch treffen die Interessen der Bewerber:innen, die Position zu erlangen, mit dem Interesse des:der Arbeitgeber:in, möglichst viel Informationen über die Bewerbenden einzuholen, zusammen. Dabei sind jedoch nicht alle Fragen an die Bewerber:innen uneingeschränkt zulässig. Berechtigte Fragen, wie insb. persönliche Daten (Name, Geburtsdatum, Adresse, Staatsbürgerschaft etc.), Qualifikationen und Berufserfahrung (Schullaufbahn, Studium, Aus- und Weiterbildung etc.) sind wahrheitsgemäß zu beantworten. Eine bewusst falsche Antwort einer zulässigen Frage kann einen zukünftigen Kündigungs- oder Entlassungsgrund darstellen.

Unzulässige Fragen, wie insb. Bei Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Bewerber:innen (z.B. Schwangerschaft, Familienplanung), muss der:die Bewerber:in nicht beantworten und darf diese sogar falsch beantworten, ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen (sog. Recht auf Lüge). Aus Sicht des Arbeitgebenden sollte also stets der Umfang des zulässigen Fragerechts beachtet werden.

Schließlich ist auch bei einer Zu- oder Absage auf die Diskriminierungsverbote zu achten, andernfalls kann es zu Schadenersatzansprüchen der Bewerber:innen kommen. Da eine Begründung nicht erforderlich ist, kann durch die Verwendung neutraler Absagen ohne konkrete Begründung dieses Risiko minimiert werden.
 

Fazit

Zusammenfassend können wir feststellen, dass Recruiting in einigen Unternehmen bereits nachhaltig verankert ist, in vielen jedoch noch Nachholbedarf besteht. Wesentlich dabei ist, dass Sie einerseits den gesamten Employee Lifecycle betrachten und Ihren Recruiting-Prozess im Sinne einer positiven Employee Experience gestalten und andererseits auch die rechtlichen Rahmenbedingungen einhalten. Verschiedenste Trends, inklusive der Einsatz von KI, sollten dabei ebenso beachtet werden, wie andere Phänomene in der Personalarbeit.

 


 

 

Autorinnen:

Julia Mäder

julia.maeder@bdo.at
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Birgit Meyer

birgit.meyer@bdo.at
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Ansprechpartner:innen:

Thomas Neumann

thomas.neumann@bdo.at
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    Cornelia Schwaminger

cornelia.schwaminger@bdo.at
+43 5 70 375 - 1379

 

 

 

 

 

 


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1) Leelavati T.S., Madhavi S., Hemanth., Susmitha K., & Roopa G., (2022). Is AI the next big thing in human resources?. Academy of Marketing Studies Journal, 26(4), 1-10.

2) Charlwood, A. & Guenole, N. (2021) : Can HR adapt to the paradoxes of artificial intelligence? In: Human Resource Management Journal, 32(4), 729–742.